Vroni, 09.03.2022
Kultur Menschen

Wenn das Allgäu Feuer macht

Geschichten vom Funkenbrauch in den Hörnerdörfern.

Griaß di, Mensch! 

Heute erzähle ich mal, was es mit dem Funkenfeuer in den Allgäuer Hörnerdörfern auf sich hat. Sie waren rar, in den beiden vergangenen Jahren (tja, Corona halt) und auch heuer brannte es nur im kleinen Kreis (immer noch Corona), aber vielleicht hat man aus der Ferne eines gesehen und sich gewundert und da wollte ich erklären, was ein Funkenfeuer, kurz: Funken, überhaupt ist. Vor allem anderen muss man wissen: Hier geht es nicht um kleine Fünkchen, so in der Art niedlicher Wunderkerzen. Hier geht es um richtig große Feuer, um riesengroße, höllenheiße Feuersbrünste, es geht um meterhoch lodernde, windgepeitschte, funkenstiebende Flammensäulen, die mit glühender Zunge bis an den Himmel lecken und in deren roten Rachen so lange bergeweise altes Holz und dürre Christbäume verschwinden, bis die gierigen Flammen zur Funkenhex gelangt sind. Erst wenn das Feuer diese Strohpuppe in zerfledderten Lumpen oben auf der höchsten Spitze erreicht und gefressen hat, jagt es nicht weiter. Es brennt sich langsam, schön langsam zu einer warmen Glut herab und drumherum stehen Mensch und Kind mit strahlenden Gesichtern und schauen in die Nacht und entdecken dort schon ein wenig den Frühling.

Funkenfeuer: Lachen statt Löschen

Hoppla, da habe ich in der Hitze des „Funken-Gefechts“ wohl ein bisschen viel auf einmal erzählt. Für alle lesenden Menschen, die sich jetzt fragen: Warum gibt es Funkenfeuer? Wozu und weshalb baut man mit viel Aufwand und ordentlich Schweiß einen hohen hölzernen Turm? Wieso zündet man ihn an (noch ehe der Muskelkater vergangen ist!) und überlässt ihn einer Feuersbrunst? Gibt es im Allgäu etwa noch Hexenverbrennungen? Und was zum Teufel hat der Frühling damit zu tun?

Der Antworten darauf, lesender Mensch, gibt es viele…

Wann ist es Zeit, die Kostüme auszuziehen? - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer,
oder: Wann ist Schluss mit lustig?

Die Alte Fasnacht

Die Fastenzeit beginnt am Funkensonntag und das Funkenfeuer markiert ziemlich eindrucksvoll, dass jetzt der Spaß vorbei ist und man sich gefälligst bis Ostern in Mäßigung und Buße üben sollte. Na, Fehler bemerkt? Der „Fehler“ steckt im Datum. Seit der Synode von Benevent im Jahre des Herren 1091, beginnt die Fastenzeit überall 46 Tage vor Ostern, genau am Aschermittwoch. Überall, außer im schwäbisch-alemannischen Raum, wozu auch Oberschwaben und das Allgäu, das österreichische Vorarlberg und die Schweizer Kantone gehören. Diese Landstriche hielten an der Alten Fasnacht fest: Man war der Meinung (und ist man seit gut 900 Jahren immer noch), dass die Synode einen netten Vorschlag gemacht hat und dass der Aschermittwoch schon Respekt verdient und man es danach auch nicht mehr wirklich krachen lässt, aber so wirklich ganz und gar und richtig zu Ende ist der Fasching halt doch erst am Sonntag nach Aschermittwoch, eben am Funkensonntag.

Kiachle - schmackhafte, in Fett ausgebackene Funkenküchle - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer,
Mit dem Frühling beginnt das Jahr.

Frohes Neues!

Eine weitere Antwort auf die Funkenfeuerfrage findet man bei den alten Römern. Die hatten ein heiliges Feuer, und zwar im Tempel der Vesta mitten in Rom. Immer zu Beginn eines neuen Jahres, wurde das Feuer mit großem Brimborium und allen Ehren entzündet und dann durfte es, bei Jupiter, nicht mehr erlöschen, sonst drohte Unglück.

Vesta und ihre Priesterinnen kümmerten sich nicht nur um das „staatstragende“ Feuer, sondern waren auch für den Schutz des kleinen, heimischen Herdfeuers zuständig und Vesta war in dieser Funktion auch Patronin der Müller und Bäcker – vielleicht rührt daher die große Kunst, der Funkenküchle. Traditionell wird beim Allgäuer Funken nämlich eine seltene Köstlichkeit serviert: Nur an diesem Sonntag gibt es Funkakiachle. Das sind handtellergroße Hefeteigküchlein, die zum Rand hin „aus-gezogen“ werden, bis in der Mitte nur ein ganz dünner, fast durchsichtiger Teigspiegel bleibt. In heißem Schmalz gebacken wird der Rand knusprig und braun und der Spiegel bleibt sonnenhell und das Funkenküchle bekommt noch eine dicke Schicht Puderzucker obendrauf. Wahrlich ein Genuss, dem Neujahrsfest sehr angemessen. Ach so, das Vesta-Feuer wurde am 1. März entzündet, denn das Jahr begann für die Römer mit dem Frühling. Die Funken brennen ebenfalls um dieses Datum herum und die Natur in den Hörnerdörfern hält sich mit dem Neustart auch nicht an den 1. Januar, sondern lieber an den März.

Balder, der Gott, der den Winter besiegte – und später durch einen Mistelzweig starb. Abbildung aus: SÁM 66, Manuskript, 18. Jahrhundert, Árni Magnússon Institut für Isländische Studien, Reykjavík
©Tourismus Hörnerdörfer,
Die Vertreibung des Winters.

Götterschlacht und Hexenwerk

Dafür, dass Balder, im nordischen Göttergeschlecht der Asen der Gott der Sonne, des reinen Lichtes, des Guten und der Gerechtigkeit ist, lebte er ein recht gewalttätiges Götterleben. Weil angeblich unverwundbar, versuchten die anderen Götter ihn mit allen möglichen Waffen (Steine, Speere, Pfeile, etc.) zu töten – hat dann erst mit einem kleinen Mistelzweig funktioniert und bei seinem Begräbnis ist dann sein Schiff-Sarg in Feuer aufgegangen, aber das ist eine andere Geschichte. Adalbert Kuhn, ein Sprachforscher und Experte in nordischer Mythologie aus dem 19. Jahrhundert, hat Vergleiche mit dem Namen Baldur angestellt: In seinen Forschungen taucht dann das altnordische Wort „bâl“ auf und eine südgermanische Gottheit namens Balo. Ersteres bedeutet Scheiterhaufen und das andere Blitz – irgendwie ist also immer Feuer mit von der Partie. Irgendwann zwischen Gerechtigkeit und Scheiterhaufen soll Balder in seiner Funktion als Sonnengott jedenfalls gegen den Gott des Winters gekämpft und ihn besiegt haben. Balder, oder seinem Sieg oder seiner entflammten Bestattung zur Erinnerung, würden demnach die Funkenfeuer brennen, heißt es. In diese Deutung passt jedenfalls die Funkenhex am besten rein.

Scheiterhaufen für die „Funkenhex“, die symbolische Winterverbrennung
©Tourismus Hörnerdörfer,
Selbstredend keine Hexe.

Die Funkenhex

Nicht mal eine „Die“ im Sinne von „Frau“, sondern hier wird DIE Dunkelheit, DIE Kälte, DIE Angst, ob die Vorräte noch bis Winterende reichen werden, verbrannt (letztere in Zeiten von Supermarkt und Pizzalieferdienst zwar nicht mehr sehr aktuell, aber früher war es die nackte Angst vor Hunger). Weil Angst und Kälte aber schwer zu greifen sind, verbrennt man symbolisch deren Bildnis. Die alte Juristerei nennt das „in effigie“: Ein Bildnis stellvertretend am Galgen aufhängen oder auf dem Scheiterhaufen verbrennen galt als korrekte Exekution, sofern man des Übeltäters nicht habhaft werden konnte. Vielleicht ist es deshalb so wichtig – alle Anwesenden beim Funkenfeuer warten gespannt auf diesen Moment! – dass die Lumpenpuppe da oben auf der Spitze Feuer fängt. Manchmal heißt es sogar, die Funkenhex muss brennen, bevor der geschichtete Funken zusammenkracht, sonst würde es Unglück bringen.

Ich glaub das nicht, ich glaub, es reicht, dass das Böse, das man in diese Puppe denkt, verbrennt. Und ich glaube, heute brauchen wir nicht die Angst vor Kälte und Winter hineinzudenken, heute wollen wir lieber Krieg und Vertreibung, Zwang, Machtgier und Unfreiheit auf den Scheiterhaufen brennen sehen…

Vom Putzen und Protzen

Es gibt natürlich auch ganz pragmatische Erklärungen für die Funken. Profane Geister wollen in den Feuern einfach eine Art „Ramadama“ sehen – und die denken jetzt noch nicht mal an die spirituell reinigende Kraft von Feuer, sondern schlicht daran, dass mal ordentlich geputzt und ausgemistet wird und dann wird der Einfachheit halber das ganze Graffl so gründlich verbrannt – da kannst du einpacken, Marie Kondo! Mag ja sein, aber mal ehrlich: Würden sich die Funkenvereine so eine Mühe machen (Stichworte: Zeit, Schweiß, Muskelkater!), bloß um als Deponie für den Frühjahrsputz herzuhalten? Wohl kaum.

Da scheint es doch einleuchtender, dass hier Ruhm und Ehre zu gewinnen seien. Immerhin wird der Funken gebaut und dann eifersüchtig bewacht. Wenn es den Funkenburschen aus dem Nachbarort dennoch gelingt, das Holz schon vor dem Abend des Funkensonntags zu entzünden, heißt das Schmach und Schande. In diesem Metier will die Größe – sprich, die Höhe des Funkenturms – wahrlich noch was bedeuten! 

Vielleicht ist alle Hitze, alles Bauwerk, alles Brennen nur Schall und Rauch, vielleicht heißt es nichts, vielleicht bewirkt es nichts. Vielleicht aber, kommen wir im Schein dieses Feuers zusammen. Wir feiern, friedlich. Wir freuen uns, auf einen neuen Jahreskreis. Wir erwarten hoffnungsvoll einen neuen Frühling. Und das ist doch schon viel…

Mach’s gut, lesender Mensch, und bleib brennend neugierig aufs Allgäu in den Hörnerdörfern!

Die Vroni

Blogbeitrag von Vroni - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer

Vroni

Blogautorin

Griaß di, Mensch! Ich bin die Vroni. Und ich bin eine Allgäuer Kuh. Hauptamtlich arbeite ich als Maskottchen für die Hörnerdörfer – das ist meine kuschelige Seite.

Meine neugierige Seite treibt mich aber immer wieder hinaus in die kleine, weite Welt der Hörnerdörfer – in ihre Natur und in ihre frische Bergluft, aber auch in ihre alten Mythen und Bräuche und natürlich stöbere ich gern in den regionalen Rezeptsammlungen. Ich schätze, die Neugier aufs Allgäu haben wir gemeinsam, gell? Denn sonst wären wir uns hier ja nicht begegnet, so als schreibende Kuh und lesender Mensch. Also dann komm mit, Mensch, ich verspreche Dir, meine Hörnerdörfer haben viel zu erzählen

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