Lucia Wucherer, 01.02.2022
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Viehscheid in den Hörnerdörfern

Die 5. Jahreszeit

Der Allgäuer Viehscheid (Almabtrieb) ist eines der größten Highlights in der Region. Jedes Jahr im September kommen mehrere 1000 Tiere von den Alpen zurück ins Tal zu ihren Bauern in den Stall, für die Hirten das Ende des Bergsommers.

Mittelalpe auf dem Weg ins Tal am Viehscheid

Mit den festlichen Zugschellen ziehen die Herden durch die Dörfer. Den ganzen Alpsommer lang (von Juni bis September) verbringen die Kühe und Rinder auf einer Alpe, auf der sie von einem Hirten betreut werden. Für die Älpler ist  der Viehscheid der Höhepunkt im ganzen Jahr.

Groß wird gefeiert mit Festzelt, Musik und viel Stimmung, ein großes Spektakel rund um die Hörnerdörfer…

Begriffserklärungen / Unterschiede

Viele denken immer Kühe sind zugleich auch Rinder oder Kälber, dass ist allerdings nicht ganz richtig so. Kälber sind die Jungtiere, Rinder sind die trächtigen und Kühe sind die, die bereits ein Kalb haben.

Einen Unterschied gibt es auch bei Weidschellen und Zugschellen. Weidschellen sind die Schellen die über den Sommer von den Kühen und Rindern getragen werden. Zugschellen sind sehr besonders, schwerer und hochwertiger, darum werden diese nur am Viehscheid vom Vieh getragen.

Wo gibt es den Viehscheid überall?

Im Bereich der Hörnerdörfer:

  • Obermaiselstein (der zweitgrößte Viehscheid im Allgäu mit 12 Alpen und ca. 1300 Stück Vieh)
  • Bolsterlang (3 Alpen)
  • Balderschwang (4 Alpen)

Im Bereich rund um die Hörnerdörfer

  • Gunzesried (der größte Viehscheid im Allgäu mit 19 Alpen und über 1700 Stück Vieh)
  • Oberstdorf
  • Schöllang
  • Bad Hindelang…

Was muss für den Viehscheid alles vorbereitet werden?

Am wichtigsten sind die Zugschellen, die die Rinder am Viehscheid tragen werden. Viele davon besitzt die Hirtenfamilie selbst. Allerdings reichen diese oft bei 200 Stück Vieh nicht aus. Zum Glück gibt es da noch Freunde, Familie, Alpmeister, Besitzer und, und, und, die hier aushelfen können. Diese werden ca. 2-3 Wochen vor dem Viehscheid gesammelt, geputzt und poliert. In dieser Zeit macht sich der Hirte schon Gedanken darüber, welches Rind, welche Zugschelle tragen wird. Somit können sie also auch schon nach Bauern sortiert werden.

Wenn der Sommer unfallfrei vonstatten gegangen ist, gibt es ein Kranzrind. Für den Kranz müssen viele Blumen und Zweige von der Weißtanne gesammelt werden. Den Kranz binden meist die Damen 1 oder 2 Tage vor dem Viehscheid.

Viel Arbeit und Aufregung stecken in den Vorbereitungen dahinter…

Währenddessen finden im Tal ebenfalls die Vorbereitungen statt. In Obermaiselstein zum Beispiel steht mitten im Ort der sogenannte Viehscheidplatz, auf dem die Tiere  ,,ausgeschieden" werden. Direkt daneben wird ein großes Festzelt aufgestellt, indem abends dann gefestet wird. Ebenfalls gibt es abends immer eine Schellenverlosung an die Hirten. Diese werden von Unternehmen aus der Region gesponsert.

Kranzrind mit Älplerin - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer,
Die Königin des Tages.

Das Kranzrind

Wie schon erwähnt, gibt es bei einem unfallfreien Sommer ein Kranzrind, das am Viehscheid bei der jeweiligen Alpe vorneweg marschieren darf. Ein trächtiges, schweres und großes Rind wird vom Hirten gewählt. Der Kranz den das Kranzrind am Viehscheid trägt, wird individuell von den Berglern aus eigener Erfahrung gebunden. Dieser entsteht zum Beispiel aus viele Alpenblumen und jede Menge Grünzeug. Dazu machen viele noch einen Bauchgurt, den das Kranzrind ebenfalls trägt (besteht aus demselben Material). Ebenfalls bekommt das Rind eine ganz besondere, schöne und hochwertige Zugschelle angezogen.

Wie die Bergler so auch das Vieh sind alle an diesem Tag immer sehr aufgeregt. Die Bergler sagen immer, dass Vieh merkt es auch wenn der Viehscheid näher rückt. Damit alles am großen Tag rund läuft, wird das Kranzrind bei manchen Älplern auf ihren großen Auftritt vorbereitet, damit es sich daran gewöhnen kann. Das heißt, der Hirte geht ein paar Tage vor dem Viehscheid mit dem Rind "spazieren" und führt es an einem Strick.

Eine besonders große Ehre ist es vor allem für den Bauern, dem das Rind gehört. Dies wird aber bis zum Viehscheid geheim gehalten und der Bauer erfährt das erst, wenn die Alpe am Viehscheidplatz eintrifft.

Rind mit Tafel - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer,
Das sogenannte "Däfele".

Rind mit Tafel

Wenn der Sommer nicht unfallfrei vonstatten gegangen ist und ein Tier zum Beispiel abgestürzt ist, gibt es eine alternative für das Kranzrind. Das Rind das eigentlich das Kranzrind geworden wäre ist das sogenannte "Däfele" das heißt es bekommt eine kleine Tafel mit der Aufschrift "i wärs gwea" was so viel heißt wie "Ich wärs gewesen", bzw. steht der Name der Alpe darauf (nicht alle Alpen machen das). Das Rind darf vorne her marschieren und trägt auch eine besondere Zugschelle.

Das Vieh am Vorabend vor dem Viehscheid - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer,
"Gschealld alege".

Der Tag vor dem Viehscheid

Der Tag vor dem Viehscheid ist für die Älpler auch schon immer sehr aufregend. Bei den meisten Alpen werden am Vortag die Zugschellen angezogen. Sobald alle Helfer da sind, wird das Vieh einzeln in unterschiedlich großen Haufen eingestallt. Dabei werden dann die Weidschellen, die die Rinder den ganzen Sommer tragen, zu den Zugschellen gewechselt. Nach und nach kommen die Tiere auf eine Weide, auf der sie die letzte Nacht vor dem Viehscheid verbringen werden.

Währenddessen sind die Frauen beschäftigt, sowohl den Kranz als auch den Bauchgurt zu binden. Dies kann schon mal einen ganzen, wenn nicht sogar bis zu 2 Tagen dauern. Ebenfalls binden sie den Kopfschmuck, welches bei Rindern mit Hörnern festgemacht wird. Dieser wird während dem Wechsel der Schellen mit angebracht.

Wenn dies alles geschehen ist, gehen die Männer meistens nochmal zum Vieh und schauen nach dem rechten. Abends wird dann im kleinen Kreis mit festlichem Essen und Musik gefeiert.

Der Tag der Tage – Es ist so weit…

Der Viehscheidtag beginnt auf den meisten Alpen mit einem gemütlichen Frühstück zusammen mit allen Helfern, bei dem in aller Ruhe nochmal der Ablauf des Tages durchgesprochen werden kann. Morgens geht der Hirte selbst nochmal "zum Vieh" um sicher zu gehen, dass alle gesund und munter für den langen Marsch ins Tal bereit sind. Manche Älpler nehmen da schon das ausgesuchte Kranzrind mit, da dieses gerne auch bis zu einer bestimmten Stelle, an der der Kranz angezogen wird, mit im Anhänger fahren darf.Nachdem der Hirte beim "iberseache war", richten sich alle in die traditionelle Allgäuer Tracht (Dirndl und Lederhose). Außerdem gibt’s für alle noch ein "Hüetstrißle", dass bei den Männer auf den Hut und bei den Frauen ans Dirndl festgemacht werden.

Alle Helfer gehen dann zum Vieh sammeln, bevor es Richtung Tal geht. Gesammelt zieht die Herde ins Tal. (In Obermaiselstein kommen die Alpen zwischen 9:00 Uhr und 12:00 Uhr im Dorf an.) Manche Alpen machen noch einen Zwischenstop, bevor sie ins bzw. durchs Dorf ziehen. An diesem Platz wird dem Rind auch der Kranz angezogen. Mit dem Kranzrind vorneweg und die Herde hinterher geht’s Richtung Scheidplatz, auf dem die Alpen von den Bauern und Zuschauern schon sehnsüchtig erwartet werden. Nachdem sie dort eingetroffen sind, wird erstmal verschnauft, bevor die Tiere ausgeschieden werden. Nachdem dies alles geschehen ist, geht’s dann in eine Wirtschaft zum Mittagessen. Am Abend treffen sich alle Hirten im Festzelt, in dem auch die Schellenverlosung stattfindet.

Blogbeitrag von Lucia Wucherer - Hörnerdörfer im Allgäu
©Tourismus Hörnerdörfer, L. Wucherer

Lucia Wucherer

Blogautorin

Lucia Wucherer, gelernte Kauffrau für Tourismus und Freizeit.

Lucia Wucherer wurde 2004 in Sonthofen geboren und lebt seitdem in den Hörnerdörfern, genauer gesagt in der Gemeinde Bolsterlang. Die ersten 15 Jahre hat Sie jeden Sommer mit ihrer Familie auf einer Jungviehalpe in Obermaiselstein verbracht. 2019 absolvierte Sie den qualifizierten Hauptschulabschluss und 2020 den Mittlere-Reife Abschluss. Seit September 2020 arbeitet Sie als Auszubildende zur Kauffrau für Tourismus und Freizeit in der Tourismus Hörnerdörfer GmbH.

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